Freitag, 20. April 2012 17:31
Ein paar Tage wollte ich mir gönnen. Einfach weg von hier. Mein Gott dachte ich mir noch, ist es letztlich nicht jeder Tag, den man sich gönnen sollte? Doch, natürlich, aber vielleicht ist es ja auch die Umgebung, die andere Umgebung, andere Menschen, andere Gespräche, anderes Licht, andere Gerüche – ja, das wollte ich. Ein paar Tage nur. So buchte ich eine kleine Pension an der Ostsee .
Dicht am Strand gelegen, ein der Landschaft angepasstes rustikales Zimmer, empfing mich bei meiner Ankunft und ein weniger rationales als vielmehr emotinales Gefühl, hier kannst du dich wohlfühlen, machte sich sofort breit. So war es auch. Nicht wie üblich, die anstehenden Probleme oder Gedanken verdrängen, nein, sie waren spätestens nach dem Abendessen weg, weg, wie weggeblasen. Dem ging ein Spaziergang an dem nahegelegen Strand voraus, diese beruhigende Ausstrahlung der so gleichmäßig anrollenden Wellen der See, das ebenso gleichmäßige Zurückziehen, wie Musik, wie wohlklingende Kadenzen.
Natürlich glaubt man heutzutage, ohne Kommunikation nicht leben zu können, ohne Handy und Laptop – geht es vermeintlich nicht. Nach einem Verzehr eines geräucherten Aales incl. “Verdauungssaftes” las ich die Mail von Chrissy. Sie vermisse mich, “gönnen” zu zweit – warum nicht und die See liebe sie über alles. Ja, Chrissy, irgendwie war sie was besonderes. Was schreibe ich ihr? Meine rechte Hand lag über der Maus, und meine Gedanken waren bereits mit dem Antworttext beschäftigt. Dann betrachtete ich meine Hand, mein Gott dachte ich mir. Wie ist sie so faltig geworden, knittrig, schlichtweg alt. Die Haut, ist sie wirklich noch meine – stecke ich noch in meiner Haut?
Sie war da. Wie schön. Lass uns gönnen, sagte sie – sonst nichts. Nach einem launigen Fischessen forderte sie mich zu einem Spaziergang auf. Gerne doch. Ein seidenes, luftiges Kleid bedeckte ihren wunderschönen Körper und kaum am Strand angelangt, nahm sie ihre Schuhe in die Hand und lief “am Rande des Wassers” entlang, so, als spielte sie mit dem Wasser nach dem Motto: krieg mich doch. Es war schön ihr zuzusehen, so spielerisch und jung.
Eine ganze Strecke gingen wir so am Strand entlang. Mal erzählend, mal schweigend. Plötzlich spürte ich, wie sie meine Hand suchte, sie fand und festhielt. Wir blieben stehen. Schweigend. Die Sonne begrüßte mittlerweile freundlich den Horizont und und lud uns zu ihrer
Abschiedsvorstellung ein. Mein Gott, wie schön. Wir standen da, blickten auf die See, auf die Wellen. Es schien, als seien sie aus Millionen von silbernen Sternen, kurz blinkend, verschwindend und doch immer wieder neu. Chrissie legte ihren Arm um mich und schmiegte sich an mich – irgendwie hatte ich das Gefühl, die Wellen greifen auf uns über. Wir bewegten uns, so schien es mir, im Rhythmus der Wellen. Der Sand unter unseren nackten Füßen spülte sich weg, und spülte sich an. Kein Fundament – sicherlich. Aber was für ein schönes Gefühl.
Es waren schöne, “gegönnte” Tage.