Augen-Blicke

Heute ist Schwerdonnerstag. Das ist im Rheinischen der Tag, an dem sozusagen der Karneval eingeläutet wird. Es sind nun sieben Jahre her, als sich für mich dieser Schwerdonnerstag offensichtlich  – warum auch immer – in der Tat zu einem Schwerdonnerstag der besonderen Art gestaltet hat.

Es war gegen halb zwölf, als ich mich zur Mittagspause auf die Couch setzte, um in aller Ruhe die am Morgen schon flüchtig gelesene Zeitung, noch einmal zu lesen. Völlig unvermittelt und ohne konkreten Anlass überfiel mich regelrecht der Gedanke: du müsstest doch noch einmal zum Augenarzt. Wie, warum, wieso jetzt? Keine Antwort, keine Erklärung. Ich las die Zeitung weiter, aber der Gedanke vom Augenarzt ergriff immer mehr Besitz von mir. Ich legte die Zeitung zur Seite und fühlte mich regelrecht gefangen von diesem Gedanken, der immer stärker wurde.  Warum sollte ich das, und warum ausgerechnet heute? Gut, wenn ich genau überlege, die Brille ist schon zehn Jahre alt, stimmt, muss mich schon ein wenig anstrengen, könnte mal ne neue haben. Ok, mache ich nächste Woche.

Aber, als sei der Verstand ausgeschaltet und wie von Geisterhand geführt, hatten meine Hände die “Gelben Seiten” schon aufgeschlagen: A wie Augenarzt, und der Telefonhörer war in meiner Hand. Im Nachbarort war der Augenarzt wohl schon für die nächsten Tage unterwegs, da mir, zwar freundlich aber bestimmend, nur ein Automat antwortete. Ok, nächster Versuch in der nahe gelegenen Großstadt: Ja, im Mai haben wir noch Termine frei. Nein, sagte ein Etwas in mir, so nicht, mach weiter. Mittlerweile war die Mittagspause längst vorbei und ich rief dennoch eine weitere Praxis an. Ja, das geht, in drei Wochen. Wollen Sie sich den Termin notieren? Und dann, als sei ich gar nicht ich selbst, hörte ich mich nur noch selbst sagen: Das geht aber nicht, ich habe seit heute Morgen starke Schmerzen in den Augen. Schmerzen? Was erzählst du denn da, sprach ich mit mir selbst. Ok, sagte die Stimme an der anderen Leitung, dann kommen Sie sofort.

Ich bin dann sofort zur Praxis gefahren und wollte auch sofort, nachdem ich die Praxis und die Augenärztin gesehen habe, wieder zurück fahren. Aber es war wieder das Etwas, was mich fest hielt.  Man konnte das Alter der Praxis sehen, ahnen und riechen und es passte auch förmlich wohl zum Alter der Augenärztin. Klein, kompakt mit einem Zopf versehen in einer Länge, dass es beim Hinsetzen erforderlich war, diesen zur Seite zu schieben.

Dann saß ich da. Die üblichen Untersuchungen begangen. Gut, dachte ich noch, als sie mich nicht nach den angeblichen Schmerzen fragte. Und sie untersuchte, untersuchte und untersuchte. Eine “Lupe” nach der anderen, und noch ein Gerät, dann noch eines mit grellem Lich, tat fast schon weh, untersuchte weiter, legte sich fast auf mich, ich spürte ihren Atem, Angst machte sich breit. Sie ließ dann ab von mir, erhob sich, atmete durch und begann von Neuem. Ein wenig fühlte ich mich von dieser Nähe schon fast bedrängt, aber sie ließ nicht von mir, strahlte erneut helles Licht in meine Augen und “beäugte” mich weiter. Ich verlor jedwedes Zeitgefühl und konnte nicht erkennen, dass die Untersuchung eine ganze Stunde dauerte, bis ich sie sagen hörte: Ich fürchte, Sie haben einen Tumor. Wie bitte, was, im Auge, ein Tumor? Tumor – die Schreckensbotschaft. Ich fiel in ein absolutes Loch, ich glaube, ich fing auch an zu weinen. Ja, sagte sie, es gibt, damit das Auge durchblutet wird, die Augenhaut und auch da können sich Melanome bilden. Ich fürchte, bei Ihnen hat sich eines davon entwickelt. Ich leite sofort alles ein. Und das tat sie dann auch. Mit einem “Gott behüte Sie” und einer spontanen Umarmung, entließ sie mich. Bereits drei Tage später,  nachdem sich die Diagnose bewahrheitet hatte, wurde ich operiert und  – bislang – erfolgreich.

Nach der OP und Entlassung aus der Augenklinik suchte ich sie auf und berichtete ihr darüber. Während ihrer Untersuchung bedankte ich mich bei ihr und empfand, dass ihr Zopf sie ausgesprochen gut kleide und mir immer symphatischer wurde.

Ein Schwerdonnerstag der besonderen Art, den ich nie vergessen werde und der mich lehrt,  wie wichtig sowohl Augenblicke als auch Augen-Blicke sind.

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  1. Winkel-Blicke
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Datum: Donnerstag, 11. Februar 2010 17:33
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2 Kommentare

  1. 1

    Da waren ganz viele Schutzengel zur Stelle und haben dich das Richtige tun lassen. Ich hoffe sie bleiben bei dir und freue mich, dass die Geschichte so gut für dich ausgegangen ist.

  2. 2

    tja so kanns gehn.
    erst skeptischen in allen belangen und dann genau das richtige getroffen!

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