Begegnung im Kindergarten

Gestern bat mich meine Schwiegertochter, ob ich wohl Zeit hätte, Joachim-Kevin – das ist mein Enkel – vom Kindergarten abzuholen, da sie einen Arztttermin habe. Naja, ich war zwar gerade dabei, die Kontoauszüge des vergangenen Jahres auf ihre ordnungsgemäße fortlaufende Nummerierung zu überprüfen, aber als guter und ein Stück weit an der Erziehung des Kindes Teilhabender, sagte ich zu und machte mich auf den Weg.

Vor dem Kindergarten bemerkte ich schon, wie gerade so einige Mütter zum Zwecke der Abholung ihres Nachwuchses fast die komplette Straße versperrten, was mich doch sehr ärgerlich machte. So suchte ich den nächsten Parkplatz auf, bediente die Parkuhr und machte mich auf den Weg zum Kindergarten. Zehn Minuten zu früh – naja, dachte ich, ist ja nicht schlimm,  ging hinein und winkte dem Joachim-Kevin zu.

Da saßen sie in einem Kreis, die Kindergärtnerin mitten drin und begannen zu singen. Ich traute meinen Ohren nicht, als ich hörte, was die da sangen, und die Kindergärtnerin am lautesten: die Vogelhochzeit!  Mein Erschrecken war so groß, dass es die gesamte Lieddauer – und es kommen da ja etliche Strophen zusammen – andauerte. Fertig.  Sagen Sie mal, Fräulein, müssen Sie solche Lieder unbedingt mit den Kindern singen, fragte ich die Kindergärtnerin. Wieso nicht, lächelte sie mich an, und mit dem Fräulein nehme ich Ihnen als Leiterin des Kindergartens nicht übel, aber dass Sie den pädagogischen Wert des Liedes nicht kennen, das schon. Wie bitte? Pädagogischer Wert? Wo denn? Das Lied bringt die Kinder in eine völlig falsche Richtung, und bemerkte, dass ich zu dozieren begann.  Hören Sie mal, sagte sie, erstens  treffen wir hier die Auswahl an Kinderliedern und dieses Lied hat sich schon über Jahrhunderte als wunderbares Kinderlied bewährt. Ja, seit 1470, das weiß ich auch, aber haben Sie mal überlegt, mit welchen Inhalten? Sie lächelte nicht mehr. Auf den Inhalt kommt es doch nicht an. Das Lied ist kindgemäß, fördert das kindhafte Reimen und Vorstellungskraft. Ich als studierte Sozialpädagogin und jetzige Erzieherin muss das ja wissen. Eben, sagte ich, eben, da liegt ja das Problem, hier werden völlig falsche Wertvorstellungen, völlig falsche naturwissenschaftliche Wahrheiten, eine verkehrte Welt und sogar eine religiöse Handhabung den Kindern beigebracht.  Geht`s noch, haben Sie was getrunken, erwiderte die Kindergärtnerin und kam verdächtig nahe an mich heran.

Joachim-Kevin spielte versunken mit Bauklötzen und sang die Melodie leise vor sich hin. Passen Sie mal auf, Fräulein, ich will Ihnen das mal beispielhaft an ein paar Strophen erklären. Das fängt doch schon an: Drossel Bräutigam, Amsel Braut – nie darüber nachgedacht? Amseln sind Drosseln, ja, die Amsel gehört zur Familie der Drosseln.  Denken Sie da mal an die inzestiösen Gefahren. Gut, als Kind wollte ich auch immer meine Mama heiraten, insofern geht das noch für die Kinder. Aber dann, die Drossel als Bräutigam, die ist so was von klein, während die Amsel bis zu 20 cm groß werden kann, wie sieht das denn aus, da heiratet doch kein vernünftiger Junge mehr. Übrigens heiraten: wegen der Lerche wird den Kindern doch geradezu suggeriert, sie müssten in der Kirche heiraten. Hier versucht die Kirche doch schon im frühkindlichem Alter, ihren Einfluss gelten zu machen. Und das geht ja noch weiter, nämlich, dass die Meise das Kyrieleise angeblich singe. Völlig falsche Aussage: Meisen können gar nicht singen, noch nicht einmal zwitschern. Und dann auch noch Kyrieleise. Wissen Sie, was das heißt? Erbarme dich! Angesichts der Größenunterschiede des Brautpaares könnte man das ja noch verstehen. Aber man muss doch bei den Realitäten bleiben. Und der Pfau mit seinem beiten Schwanz beim Hochzeitstanz, also ich bitte Sie wirklich, Fräulein. Wo sind wir denn? Und das mit dem Uhu, der die Fensterläden zu macht. Hier werden die Kinder doch geradezu ermuntert, notwendige Dinge nicht selbst zu tun, vielmehr tun zu lassen. Noch nicht einmal die Rollläden wollen sie dann später runter lassen. Da führt das doch hin. Übrigens, Fräulein, seit wann krähen Hähne denn abends einen Gute-Nacht-Gruß? Sehen Sie, das waren jetzt nur ein paar Beispiele – verstehen Sie, was ich meine? Gut, ich gebe ja zu, alles ist ja auch nicht falsch, also das mit der Brautmutter Eule. Wenn da so manche ihre Brille am unteren Rand der Nase aufsetzt, kann man schon mal……..

Joachim-Kevin, kommst du mal bitte, rief die Kindergärtnerin meinem Enkel zu, nahm seinen Kopf in ihre Hände und beugte sich zu ihm. Mit einem leisen: Sag deiner Mutter doch bitte, dass ich sie unbedingt mal sprechen müsste………

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Datum: Sonntag, 9. Mai 2010 19:10
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3 Kommentare

  1. 1

    Wie so oft bei deinen Geschichten, hab ich laut gelacht. Schon allein der Name “Joachim- Kevin”…das arme Kind! Das Lied “die Vogelhochzeit” sehe ich jetzt auch mit ganz anderen Augen. Es ist höchste Zeit…ich muss dringend mit meinen Enkeln reden.
    Große Klasse Hans!

  2. 2

    Dieser arme”Joachim-Kevin”ist nun wirklich mit einem Großvater “geschlagen”!!!???Einfach herrlich!!!!LG Helga…lach mich scheckig!!!!

  3. 3

    Ich gebe zu, daß mir der Inhalt der Vogelhochzeit nicht so richtig geläufig war. Trotzdem habe ich die Geschichte mit Wissensdurst gelesen und mir alles bildlich vorgestellt und es war nett, weil auch so spannend geschrieben. Ich hoffe nur, meine Vermieterin (über mir) hat nicht gehört wie ich gelacht habe, als ich den letzten Satz der Geschichte gelesen hatte. Das könnte ja wirklich eine wahre Geschichte sein.

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