Lulu
Sie hatten sich zufällig in Paris getroffen und verliebt. Drei
wunderbare Tage konnten sie miteinander verbringen, dann musste Lulu abreisen. Beim Abschied versprach er ihr, als Geschenk ein Lied zu schreiben, um es beim nächsten Treffen nur für sie zu singen.
Woher ich das weiß? Er hat mir und auch seiner Lulu das
Lied vorgesungen, oft, mehrmals, tage-und nächtelang, immer und immer wieder: Lulu, Lulu……
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Nach meiner Operation wurde ich noch fünf Tage auf der Intensivstation behandelt, bis ich “auf mein Zimmer” kam. “Wir mussten Ihnen sehr starke Schmerz – und Betäubungsmittel geben”, erklärte mir der Arzt und aus Bemerkungen der Schwestern erfuhr ich peu a peu etwas von Transfusionen und einer sehr schwierigen Situation. Und nun lag ich da, hilf-und bewegungslos
und mein Leben bestand aus einem Pendeln zwischen Schlafen und Grübeln. Bis ich ihn zum ersten Mal hörte… Ich konnte ihn allerdings noch nicht als “ihn” erkennen, vielmehr vernahm ich aus einem der oberen Stockwerke zunächst nur Musik – irgend jemand sang ein Lied. Wie kann man nur in einem Krankenhaus so laut Musik hören, war mein erster Gedanke. Es hörte nicht auf; ein bis zwei Stunden wurde gesungen, und niemand schien sich darum zu kümmern. Dann erkannte ich, dass es sich immer um das gleiche Lied handelte: Abschied von Lulu in Paris, und das Erfüllen eines
Versprechens. Lulu, Lulu, nur du……
Der Sänger schien keine Pause zu kennen, und es hatte für mich den Anschein, als ließe er eine CD mit Musik laufen und sang den Text immer wieder dazu mit, manchmal ohne Unterbrechung. Ich wollte das alles nicht glauben, lauschte jedoch immer wieder diesem endlos scheinenden Lied. Auf dem Flur hörte ich schließlich auch den behandelnden Arzt sagen, es sei sein größter Fehler gewesen, den Mann mit aufzunehmen, dieser habe sich für drei Wochen eingemietet, um seine Freundin, die im Koma läge, mit Musik zu begleiten, vielleicht in der Hoffnung sie würde durch diese Melodie aufwachen.
Bis drei Uhr in der Nacht hörte ich wieder sein Lied. Vorsichtig fragte ich die Nachtschwester, ob sie denn auch die Musik höre – sie hörte keine, sah mich nur erstaunt an. Am nächsten Tag fragte ich nochmals als das Lied ganz deutlich zu hören war – auch diese Schwester hörte angeblich nichts. Da war mir klar, der Arzt hatte streng verboten, darüber zu sprechen.
Lulu, Lulu,ohne Hemd und ohne Schuh, Lulu………
Das Lied hatte eine wunderschöne Melodie und er sang mit einem weichen und vollen Bass dazu. Am Freitag um 11 Uhr wird er ein Konzert geben, ich sah das Plakat im Krankenhaus hängen. Klar war mir jetzt, dass er hierfür proben und üben musste. Ich ertappte mich dabei, dass ich begann das Lied zunächst mit zu brummen und dann sogar mit zu singen. Lulu, Lulu, Es entstand sogar ein Wettkampf, wer von uns beiden den Schlusston des Liedes – Luluuuuuuuu – am “tiefsten” treffen konnte. Ich habe gewonnen.
Dann kam der Freitag. Er machte irgendwo draußen auf der
Krankenhausterrasse seinen Soundcheck, dann begann er zu singen. Es waren nicht viele Zuhörer gekommen – einige standen zwischen den Bäumen, andere in den Fenstern.
Ich humpelte zum Fenster, öffnete es und konnte ihn so deutlich
hören. Leider sang er nicht das Lied, welches er doch tage und nächtelang geprobt hatte: Lulu – ich war enttäuscht.
Ein paar Stunden später war er wohl wieder auf seinem Zimmer und -endlich- Lulu in voller Länge: Lulu,Lulu, ich lieb dich immerzu, Lulu….Aber insgesamt sang er nicht mehr so oft wie vorher. Es gab Tage, da hörte ich ihn überhaupt nicht. Vielleicht ist er abgereist, oder krank, waren meine Gedanken. Nein, ich habe ihn bis zu meiner Entlassung vor ein paar Wochen nicht mehr gehört.
Geblieben sind mir die Melodie und Textfetzen und das “Erlebnis” als solches. Ich kann noch heute einige Liedzeilen singen und die Melodie auf der Gitarre dazu spielen.
Diese Geschichte habe ich genauso erlebt. Trotzdem ist sie nie passiert.
Die Mediziner erklärten mir, es handele sich hierbei durch Narkose, Medikamente oder auch durch Taumata ausgelöste “Vorstellungen”. Man bezeichnet es als Durchgangssyndrom. Dieses kann in verschiedenen Arten und Formen, mal mehr und mal weniger heftig auftreten. Es vergeht üblicherweise nach ein paar Stunden oder einem Tag. Ich lebte eine Woche mit Lulu….
Für mich war dann letztendlich doch erfreulich, dass mein Syndrom eins der musikalischen Art war.
Montag, 10. Januar 2011 0:51
….eigentlich wollte ich ins Bett gehen, schaute aber noch rein in die Vogelperspektive. Wollte den Text von Lulu vorerst nur mal kurz überfliegen, weil er so lang ist. Der Flug war schnell zu ende. Ich las den ganzen Text, voller Spannung und am Ende? Das war mir neu, dass es so etwas gibt. Trotzdem, es war wirlich schön zu lesen und auch noch spannend dazu. Ja, Lulu, Liebe, Täume…………