Samstag, 24. April 2010 13:48
Freitagabend. Immer dasselbe. Irgendwie haben wohl zu diesem Zeitpunkt alle Menschen ihre Hütten verlassen, alle scheinen unterwegs zu sein, und glauben dieses und jenes und scheinbar unabdingbar Notwendige noch besorgen zu müssen, und Straßen und Geschäfte mit ihrer Anwesennheit zu füllen. Rushhour – eben. Ich mitten drin und natürlich dem Trend folgend – ich muss noch einkaufen: Wochenende.
In Kenntnis meines leeren Portemonnaies entstand natürlich der Gedanke, schnell noch einmal zum Bankautomaten und dann zum Discounter. An der Bank angekommen, musste ich feststellen, dass es offensichtlich vielen Menschen so geht wie mir: kein Parkplatz weit und breit war frei. Dreimal um das Gebäude gefahren – und dann fand ich die Lücke. Halteverbot – eingeschränkt. Na gut, in zwei Minuten bin ich ja wieder zurück, will ja nur am Automaten Geld holen.
Rein in die Bank, Karte gezückt und zum Automaten. Gott sei Dank, kein großer Andrang, nur eine Person vor mir – das klappt schon mit dem Parken, dachte ich erleichert und war zunächst auch ganz entspannt. Klein und zierlich stand sie da, blauer Mantel mit einem farblich äußerst kompatiblem Hütchen, welches flott, aber doch schon grenzwertig keck das graue Haar bedeckte. Geschätzte 75 bis 80 Lebensjahre Erfahrung standen da vor mir. Ich selbst machte in diesem Moment die Erfahrung, das Erfahrungen eben ihre Zeit brauchen. Ihre Karte hatte sie ziemlich schnell zur Hand und auch das zugehörige Pendant – den Schlitz – gefunden. Doch dann: Jede Anweisung des Automaten verfolgte sie mit großem Interesse, indem sie sich vorbeugte und scheinbar den Bildschirmtext wohl auswendig lernen wollte. Obwohl ich mich in dem gewünschten diskretem Abstand befand, erkannte ich, dass sie nunmehr ihre Geheimzahl eingeben musste und wurde im Hinblick auf mein schlechtes Gewissen – eingeschränktes Halteverbot – leicht nervös. Kann ich Ihnen helfen, war dann meine nicht ganz uneigennützige Frage. Nein, danke, junger Mann, kam dann höflich, aber bestimmt zurück. Die Bezeichnung “junger Mann,” erklärte mir dann auch, warum sie so intensiv und lange die Bildschirmanweisungen betrachtete.
Mein Gott, ich wurde unruhig, muss das denn so lange dauern? Es dauerte noch länger. Denn eine Geheimzahl heißt ja nicht willkürlich Geheimzahl. Und die Geheimnisse einer Damenhandtasche sind bislang nicht vollständig erforscht. Dort suchte sie nämlich nach Aufklappen derselben ihren Zettel, auf dem sie wohl die Zahlen notiert hatte. Und so etwas dauert. Die unaufgeräumteste Aufgeräumtheit ist eine Damenhandtasche. Im Fußballjargon spricht man von der “Tiefe des Raumes”, bei Handtaschen von der unendlichen Tiefe des Raumes. Die vermeintliche Ordnung ist in aller Regel mit einem einfachen (blinden) Griff nach dem Motto: dort muss es sein, dort ist es immer, hergestellt und funktioniert auch. Wenn das jedoch nicht klappt, schließt sich eine “Sichtprüfung” an, verbunden mit dem Ausfruf, na so was! Das Geheimnisvolle an dem Inhalt und Sortierung einer Damenhandtasche übersteigt bei weitem die Sinnhaftigkeit einer geheimnissvollen Geheimzahl.
Sie war bei der Suche erfolgreich, und nach weiteren ca. fünf Minuten im Besitz ihres Geldes. Meine Unruhe und Ungeduld waren längst überstrapaziert. Es nahm kein Ende. Nachdem sie das Geld entnommen hatte, zählte sie es Schein für Schein nach, und verstaute es sorgfältig in ihrem Portemonnaie. Die großen hier, die kleinen dort. Es dauerte – eben. Sorgfältig verschloss sie dann das Portemonnaie, steckte es in ihre Handtasche, drehte sich um, lächelte mich an und sagte: Sie sind dran, danke für Ihre Geduld.
Herrgott nochmal, dachte ich, bestimmt zehn Minuten. Ruckzuck hatte ich mein Geld und ging zu meinem Auto. Jawoll, genau so, danke liebe Omi – das war bislang die teuerste Geldentnahme. Ein Fünfzehn- Euro-Zettel” wegen Ordnungswidrigkeit schlummerte diskret hinter dem Scheibenwischer. Wütend nahm ich den Zettel und warf ihn auf den Beifahrersitz und fuhr los.
Und während der Fahrt ging mir die Geschichte nicht aus dem Kopf. Nett und höflich war sie ja. Und wer weiß, wie sie lebt, vielleicht ist sie ja ganz alleine. Vielleicht hat sie sich seit Tagen auf den Besuch der Sparkasse vorbereitet und ist selbst stolz darauf – ihr “Highlight” der Woche. In mir kam das Bild ihres so keck aufgesetzten Hütchen wieder auf und ich bemerkte, dass auf einmal die ganze Wut und der Ärger irgendwie nachließen. Ja, ich ertappte mich sogar bei einem Blick in den Rückspiege, dass ich grinste. Eigentlich hat sie das ja toll gemacht, alles richtig – nur ein wenig langsam. Und dann überlegte ich, wie ich mich in 15 oder zwanzig Jahren vor solchen Automaten – Ungetümmern, die dann sicherlich noch “ungetümer” werden, verhalten werde. Und dann fiel mir ein, dass ich vor ein paar Tagen mich ziemlich dämlich angestellt habe, als ich eine Bahnkarte kaufen wollte.
Ich musste plötzlich herzhaft lachen. Wie schön. Und die alte Dame in bläulich wurde mir immer sympathischer und diese Erfahrung waren mir die 15 Euro ganz sicher wert.